Eine Frage des Formats


Vertikal oder quer – wo geht die Reise hin?

Apple hat vor kurzem einen neuen Clip produziert „shot on iPhone“: VERTICAL CINEMA. Natürlich um zu zeigen, welch cinematisches Potential speziell im aktuellen Top-iPhone steckt. Und in der Tat, ziemlich schnell habe ich vergessen, dass die Aufnahmen aus einem Handy stammen, denn der neunminütige Trip durch verschiedene Kinoepochen, mit dem Schicksal eines Stuntman als Story, sieht definitiv nach Hollywood aus. Doch der kurz eingeblendete Hinweis „Shot with Filmic Pro App. Additional hardware used. Professionally edited.“ lässt es schon erahnen, dass hier mehr als nur der VHS-Wochenendkurs für angehene Filmemacher am Werken war.

Im Making–of ist zu sehen, dass der Clip zwar wirklich mit dem iPhone gedreht wurde, allerdings drum Equipment à la Hollywood–Blockbuster zum Einsatz kam, inklusive kompletter Filmcrew. Regie führt kein geringerer als Damien Chazelle, der für „La La Land“ einen Oscar erhielt. Wie weit entfernt das Ganze für normale Filmemacher ist, darüber will ich gar nicht weiter nachdenken. Spielt auch keine Rolle. Das besondere an dem Clip ist nämlich, dass er nicht im 16:9 produziert ist, sondern hochkant.

Hochkant im Vormarsch

Bis heute habe ich selbst noch keinen einzigen Film oder Webclip hochkant gedreht. Weder mit dem iPhone noch mit anderen Kameras. Ich weiß, auf vielen  socialmedia-Plattformen ist hochkant völlig normal und für die TikTok–Kids ist sehr wahrscheinlich Quer mein Hochkant. Vertical Videos sind auf dem Vormarsch, quadratische wieder out. Die Deutsche Fußballliga hat Ende 2019 ein komplettes Bundesligaspiel hochkant produziert, als Test [DFL-Artikel dazu]. Bei der Videostreamingdienst quibi.com haben die Zuschauer die Wahl, ob sie Seinen und Filmen lieber quer oder hochkant sehen wollen.

Dass ganze Spielfilme auf dem Smartphone gedreht werden ist nichts neue, aber die waren bisher nicht hochkant. Zumindest nicht im Kino. Breiter statt höher ist dort die Devise: das erste 270-Grad Kino in Deutschland verspricht in Berlin eine „völlig neue Kinoerfahrung“. Hochkantkinos müssen also erst noch gebaut werden, doch die Auswirkungen für Mensch und Natur sind nicht zu unterschätzen!

Freie Wahl statt pan & scan

Im Zeitalter der 4:3 Röhrenfernseher wurden Kinofilme respektlos durch pan & scan zugeschnitten, was Sydney Pollack zurecht nicht gefiel. Aus einen Querformat-Film ein Hochkant-Video herauszuschneiden ist technisch durchaus möglich, und erledigen Schnittprogramme wie Adobes Premiere Pro mit nur eine Klick. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass abseits von mobilen Gerätenein Nutzen darin liegen wird. Und wie Pollack schon deutlich darauf hinwies, ziemlich viel, was die Macher von Filmen sich in Sachen Inszenierung und Bildsprache gedacht haben, geht durch pan & scan verloren.

Regisseur Damien Chazelle denkt bei der Formatfrage an die Entscheidungsfreiheit von Malern: sie haben schon immer die freie Wahl ob längs, quart oder quadratisch. Das ist für mich die Antwort darauf, wohin die Reise geht. Diese Denke ermöglicht Filmemachern ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen, ohne sich in liegenden oder stehen Rechtecken gefangen fühlen zu müssen. Die Konsumenten werden sich anpassen müssen, in der Wahl des Endgerätes.

Meine Format-Utopie

Und das könnte die Zukunft sein: Fernseher drehen sich von alleine von quer auf hochkant, je nach Film. Der neue Mission Impossible wird quadratisch oder am besten gleich rund gedreht, „only available on smartwatchTV“. Und die Fußball Weltmeisterschaft 2026 wird nur in VR zu sehen sein. Dort stehe ich dann als Zuschauer zusammen mit den Avataren von Madonna und Sepp Müller beim entscheidenden Elfmeter im Sechzehner.